Ein Wortzeugnis von 1941 des Schülers Hendrik Blase, mit der Schreibmaschine auf orangebraunem Papier getippt.

Erfahrungen eines Schülers während des Nationalsozialismus

Ich erlebte die Schulzeit, in der das Erfüllen der Schulen mit nationalsozialistischem Geist Priorität hatte. Am 1. April 1937 wurde ich von zwei Schutzpolizisten von zu Hause abgeholt, da ich es versäumt hatte, der „Einberufung“ zum Jungvolkdienst im Schölerschlösschen, Wilhelms-Aue, entsprechend dem neuen Jugenddienst zu folgen. Es bestimmte, dass jeder deutsche Junge und jedes deutsche Mädchen ab zehn Jahren den nationalistischen Jugendorganisationen (Jungvolk, HJ bzw. Jungmädchen, BDM) anzugehören hatte. Der Schulunterricht begann mit dem Hitlergruß bei ausgestrecktem rechtem Arm. 1936 hatte die Treitschke-Schule mit Werner Droetz einen Goldenen NSDAP-Nadelträger als Schulleiter erhalten, da die meisten Studienräte nicht der NSDAP angehörten. 1941 erlebte ich es, dass mit Dr. Hatto Weiss ein weiterer Biologielehrer kam, der in SS-Uniform unterrichtete. Dr. Friedrich Gross unterrichtete Chemie/Physik und war stellvertretender NSDAP-Ortsgruppenleiter. Da mein Vater als Schulhausmeister nicht in die NSDAP eingetreten war, prüfte er mich im Chemieunterricht so schikanös, dass ich zuletzt ständig bei der Note 6 (ungenügend) landete.

1937 kam mein befreundeter Klassenkamerad Rosenstock nicht mehr zum Unterricht. Er war mit seinen Eltern als Jude nach London ausgewandert. Zu meinen Freunden gehörten auch Karl-Heinz Mösch und Kurt Rosenthal, deren Väter als Juden nach New York bzw. Schanghai emigriert waren, ihre Mütter konnten jedoch als Arier hier bleiben. Durch diese Freundschaften wurde ich später auch in der Hitlerjugend niemals befördert. Da ich nach der Pogrom-Nacht im November 1938 den Brand der Synagoge in der Prinzregentenstraße am frühen Morgen beeindruckt und irritiert noch bis fünf Minuten nach Schulbeginn beobachtet hatte und entsprechend später zum Turnunterricht kam, gab es eine schallende Ohrfeige von Turnlehrer Hallup.

Im Geschichtsunterricht bei Studienrat Christmann musste man mit Bleistift und Lineal erscheinen, um die von ihm beim Vorlesen aus dem Geschichtsbuch für wichtig erachteten Sätze zu unterstreichen und zu lernen. Auch so wurde nationalsozialistischer Geschichtsunterricht gemacht.

Der totale Krieg nahte. So erschienen im November 1942 zwei Luftwaffenoffiziere vor unseren Sekundaklassen und bereiteten uns auf unseren Kriegseinsatz als Luftwaffenhelfer ab 15. Februar 1943 als 16jährige vor. Wir zogen dann an diesem Tage mit Karton wie einberufene Soldaten zum S-Bahnhof Wilmersdorf und fuhren nach Oranienburg, wo wir zu der Flakstellung bei den Heinkelwerken abgeholt wurden.

Offiziell galten wir als Hitlerjungen und mussten an der Luftwaffenuniform die HJ-Binde tragen. Jeden zweiten Werktag erschien Oberstudienrat Dr. Gross in der Flakstellung, um Schulunterricht (sechs Stunden) zu erteilen. Doch oft hatten wir nachts Voralarm und der Unterricht fiel aus. Da wir einige Monate später in andere Städte verlegt wurden, kam es nicht mehr zu weiterem Schulunterricht. Als ich im Frühjahr 1944 noch bei der 12 cm Flak bei Leuna/Sachsen-Anhalt als Luftwaffen-Oberhelfer war, erhielt ich ein Abiturzeugnis zugesandt, das mir „in Anerkennung meines Kriegseinsatzes für Führer, Volk und Vaterland“ die Notreife verlieh. Nach 1945 konnte man das Abitur nachmachen.

Inzwischen haben sich die Zeiten verändert und ich wünsche mir, dass die Friedrich-Ebert-Oberschule weiterhin in Frieden und ohne politische Einmischung unterrichten kann.

Text: “Meine Schulzeit am Treitschke-Realgymnasium 1937 – 1944” , Harri Wuttke, ehem. Vorsitzender des Ehemaligen-Vereins, geb. 1927

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